In der Praxis herrscht Rechtsunsicherheit durch divergierende Entscheidungen im Zusammenhang mit der umstrittenen einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Die Gerichte beurteilen die Frage, ob § 20a Abs. 1 IfSG eine gesetzliche Tätigkeitsvoraussetzung zu entnehmen ist, unterschiedlich. Auswirkungen hat diese Frage auf die Rechtmäßigkeit einer (unentgeltlichen) Freistellung ungeimpfter Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber.
Das ArbG Stuttgart hat mit Urteil vom 12. Oktober 2022 (Az. 15 Ca 2557/22) entschieden, dass eine unbezahlte Freistellung durch den Arbeitgeber rechtsunwirksam ist, sofern das zuständige Gesundheitsamt kein Tätigkeitsverbot ausgesprochen hat. Es obliege allein dem Gesundheitsamt, ein Betretungs- oder Beschäftigungsverbot für den ungeimpften Arbeitnehmer zu verhängen. Fehlt es daran, könne der Arbeitgeber eine Freistellung des ungeimpften Arbeitnehmers nicht wirksam aussprechen.
Die hessische Arbeitsgerichtbarkeit hingegen beurteilt die Rechtslage anders als das Arbeitsgericht Stuttgart. Nachdem am 11. August 2022 das LAG Hessen (Az. 5 SaGa 728/22) die Freistellung eines ungeimpften Arbeitnehmers gemäß § 20a IfSG für wirksam erklärte, bestätigte jüngst auch das ArbG Gießen die Rechtmäßigkeit der unbezahlten Freistellung (Urteile vom 8. November 2022, Az. 5 Ca 119/22, 5 Ca 121/22). Die Beschäftigten könnten aufgrund des fehlenden Immunisierungsstatus die erforderliche Leistungsfähigkeit für die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit nicht vorweisen. Das LAG Hessen weist ausdrücklich darauf hin, dass der Arbeitgeber zur Umsetzung des § 20a Abs. 1 IfSG Anordnungen – wie eine Freistellung – treffen kann und dem Gesundheitsamt nicht die alleinige Zuständigkeit zur Tätigkeitsunterbindung obliege. Der Arbeitgeber sei näher am Geschehen und könne wesentlich effektiver Maßnahmen zum Gesundheitsschutz – vor allem der besonders vulnerablen Personen – vornehmen.