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Annahmeverzugslohn und Anrechnung von anderweitigem Erwerb – Tipps für die Praxis
Friday, March 1, 2024

Grundsätzlich gilt: Ohne Arbeit kein Lohn. Eine Ausnahme ist der Annahmeverzugslohn (siehe auch HR-News Beitrag vom 17. Oktober 2023: „Annahmeverzugslohn: Nur noch stumpfes Schwert im Kündigungsschutzprozess?“). Diesen muss der Arbeitgeber in der Regel zahlen, wenn er Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Kündigung freistellt oder nach dem vermeintlichen Kündigungsdatum die Unwirksamkeit der Kündigung rechtskräftig festgestellt wird. Für den Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer hätte arbeiten können, dies aber aufgrund der Erklärungen des Arbeitgebers nicht konnte, ist die vertragsgemäße Vergütung weiterzuzahlen. Dabei hat sich der Arbeitnehmer aber anderweitigen Erwerb anrechnen zu lassen (§ 615 S. 2 BGB, § 11 Nr. 1 KSchG). Außerdem kann der Annahmeverzugslohn um den Wert gemindert werden, den der Arbeitnehmer „böswillig unterlässt“, zu verdienen (§ 615 S. 2 BGB, § 11 Nr. 2 KSchG).

In der Praxis zeigt sich oft, dass Arbeitgeber die Möglichkeiten der Anrechnung des anderweitigen Erwerbs nicht ausreichend nutzen, sondern vermeintlich pflichtbewusst den Annahmeverzugslohn ungemindert auszahlen. Ein Grund mehr einen Blick auf die Entscheidung des BAG vom 24. Januar 2024 (5 AZR 331/22) zu werfen, in der sowohl der anzurechnende tatsächlich erzielte Verdienst als auch der böswillig unterlassene (hypothetische) Verdienst genauer erläutert wird:

1. DER SACHVERHALT

Nachdem der Klägerin zu Ende April 2014 gekündigt wurde, erhob sie Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Der Arbeitgeber stellte die Lohnzahlungen zum Ende April 2014 ein. Die Klägerin meldete sich daraufhin ab März 2014 bei der Arbeitsagentur arbeitssuchend. Die Klägerin wurde im Mai 2014 als Geschäftsführerin einer GmbH eingetragen. Für die Geschäftsführertätigkeit erhielt sie keine Vergütung, sondern eine Gewinnbeteiligung. Die GmbH, deren Geschäftsführerin die Klägerin war, wurde im Januar 2015 persönlich haftende Gesellschafterin einer KG, an der die Klägerin mit einem Anteil im Wert von EUR 10.000 beteiligt war. Für den Zeitraum Mai bis Oktober 2014 erzielten weder die KG noch die GmbH einen Gewinn, sondern Verluste. Die Klägerin erhielt für diesen Zeitraum daher auch keine Gewinnbeteiligung.

Bis Ende 2015 konnte der Klägerin durch die Arbeitsagentur keine Beschäftigung vermittelt werden. Im Januar 2016 stellte das Arbeitsgericht Gera fest, dass die Kündigung (sowie auch weitere, zusätzlich erklärte Kündigungen) das Anstellungsverhältnis nicht wirksam beendet hatten.

Für den Zeitraum Mai 2014 bis September 2014 klagte die Klägerin anschließend auf Annahmeverzugslohn, in Höhe der zuvor erzielten Vergütung. Nachdem das Landesarbeitsgericht (LAG) Thüringen (Urteil vom 6. September 2022 – 1 Sa 427/20) der Klage im wesentlichen stattgegeben hatte, nutzte das BAG die Revision zur Klarstellung der Regelungen zur Anrechnung von Nebenverdienst und verwies das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das LAG zurück.

2. DIE ENTSCHEIDUNG

Das BAG stellte fest, dass das LAG weder den tatsächlichen Verdienst der Klägerin in ausreichendem Maße ermittelt hatte, noch ausreichend Feststellungen getroffen hatte, ob die Geschäftsführertätigkeit mit reiner Gewinnbeteiligung nicht ggf. ein böswilliges Unterlassen im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG darstellt.

Zu Ersterem: Entgegen der Ansicht des LAG müssen Einkünfte aus einer Gewinnbeteiligung auch berücksichtigt werden, wenn sie erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgezahlt werden. Der Zeitpunkt der Fälligkeit von Ansprüchen ist danach für die Anrechenbarkeit von sonstigen Verdiensten nicht relevant, sondern vielmehr der Zeitpunkt der Arbeit/Leistung, für die der Verdienst (hier: Gewinnbeteiligung) gezahlt wird. Dass die Arbeit während dem streitgegenständlichen Zeitraum nicht in Zusammenhang mit möglicherweise später erzielten Einkünften aus der Gewinnbeteiligung bestand, müsste die Klägerin sodann darlegen.

Auch die Gewährung des Kommanditanteils an der KG könnte eine Vergütung für die Tätigkeit der Klägerin gewesen sein, die als anderweitiger Verdienst berücksichtigt werden muss. Hier durfte das LAG auch nicht darauf verweisen, dass die Beklagte keine ausreichende Verknüpfung darlegen konnte. Es hätte vielmehr die Klägerin dazu anhalten müssen, aufgrund ihrer sekundären Darlegungslast zu den Umständen der Kommanditanteilsgewährung detaillierter vorzutragen.

Darüber hinaus habe das LAG den hypothetischen Verdienst der Klägerin, den sie böswillig unterlassen hat, nicht korrekt bewertet. Zwar ging das LAG richtigerweise davon aus, dass die Meldung bei der Arbeitsagentur zunächst positiv für die Klägerin auszulegen war. Entgegen der Annahme das LAG konnte die Aufnahme der Geschäftsführertätigkeit allerdings nicht ohne Weiteres als der Versuch des Aufbaus einer selbstständigen Tätigkeit gewertet werden, der in der Regel einem böswilligen Unterlassen von Verdiensten entgegensteht. Da die Klägerin aber zu Beginn ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der GmbH keine Anteilseignerin war und die KG, an der sie Anteile später erhielt zum streitgegenständlichen Zeitpunkt noch nicht gegründet war, war nach dem BAG zunächst von einem gewöhnlichen Dienstverhältnis auszugehen. Ein solches wäre jedoch regelmäßig nur gegen eine entsprechende Vergütung aufgenommen worden.

Außerdem hätte das LAG in diesem Zusammenhang genauer klären müssen, wovon die Klägerin letztendlich mit ihren Kindern in dem streitgegenständlichen Zeitraum lebte. Auch die persönliche Beziehung zum Alleingesellschafter der GmbH hätte durch das LAG genauer beleuchtet werden müssen.

3. TIPPS FÜR DIE PRAXIS

Die Entscheidung zeigt, dass Arbeitgeber gut beraten sind, geltend gemachte Ansprüche auf Annahmeverzugslohn im Einzelnen zu prüfen.

Es sei bspw. daran erinnert, dass Annahmeverzugslohn grundsätzlich nur geschuldet ist, wenn der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung in der Lage gewesen wäre. Bei Arbeitsunfähigkeit ist dies beispielsweise nicht der Fall (BAG, Urteil vom 29. Oktober 1998 – 2 AZR 666/97.

Ein böswilliges Unterlassen i.S.d. § 615 S. 2 BGB/§ 11 Nr. 2 KSchG wird wiederum in Fällen angenommen, in denen der Arbeitnehmer trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme bewusst verhindert. Er darf allerdings nach eigenem Ermessen auch eine geringwertigere Tätigkeit annehmen, sich selbstständig machen (ohne dass er bereits zu Beginn der Selbstständigkeit Einkünfte erzielen muss), sich auf einen anderen Beruf vorbereiten oder ein Studium aufnehmen, ohne dass ihm hierdurch Böswilligkeit vorgeworfen werden kann. Etwas anders ist aber wohl anzunehmen, wenn sich der Arbeitnehmer eine Auszeit gönnt und bspw. eine Weltreise macht.

Darüber hinaus kann der Arbeitgeber die Zahlung des Annahmeverzugslohns verweigern, bis der Arbeitnehmer umfassend über anderweitigen Erwerb, aufgenommene Tätigkeiten und/oder die unternommenen Maßnahmen zur Erlangung einer neuen Einkommensquelle Auskunft erteilt hat (BAG, Urteil vom Urteil vom 24. August 1999 – 9 AZR 804/98). Gemäß der dargestellten Entscheidung müssen diese Auskünfte auch detailliert und ausführlich sein und im Zweifelsfall auch über die Zeiträume hinausgehen, für die Annahmeverzug geltend gemacht wird. Pauschale Behauptungen sind hier nicht ausreichend. So muss bspw. im Einzelnen dargelegt werden, welche Jobangebote durch die Arbeitsagentur vorgelegt wurden, und warum diese nicht angetreten wurden oder werden konnten (BAG, Urteil vom 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19).

Zu guter Letzt: Auch bei (vermeintlich unrechtmäßigen) Versetzungen oder Änderungskündigungen kann Annahmeverzugslohn eine Rolle spielen. Hier kann das Prozessrisiko für einen Arbeitgeber deutlich verringert sein, wenn der andere Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer nicht unzumutbar ist. Die Unzumutbarkeit wird dabei anhand einer Wertung aller Umstände des Einzelfalles ermittelt. Kriterien können Gründe in der Person des Arbeitnehmers, der Art der Arbeit (bspw. Inhalt der Tätigkeit, Gefährlichkeit) oder die sonstigen Arbeitsbedingungen (bspw. Ort und Zeit, Vergütungsform und Umfang von Sozialleistungen) sein (BAG, Urteil vom 22. März 2017 – 5 AZR 337/16). Das BAG hat seine Rechtsprechung hierzu in jüngerer Vergangenheit angepasst: Ein Nichtantritt des veränderten/neuen (zumutbaren) Arbeitsplatzes ist in der Regel gleichbedeutend mit einem böswilligen Unterlassen des anderweitigen Erwerbs (vgl. BAG, Urteil vom 23. Februar 2021 – 5 AZR 213/20).

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